EYE ON ART | Die poetik des Ineinandergreifens
Die poetik des Ineinandergreifens
Er gewann 1964 die Bildhauerei-Biennale und leitete die Akademie von Brera. Er gehört zu den historisierenden Bildhauern des italienischen 20. Jahrhunderts, die von Sammlern auf der ganzen Welt geliebt und geschätzt werden. Ein Wünschelrutengänger, ein Liebhaber der klassischen Kunst aus Gleichgewicht und Harmonie, ein Begleiter von aufgeklärten Architekten und Unternehmern - von Gregotti bis Zanuso, von Gae Aulenti bis Gardella. Seine Werke haben mythische Orte wie die Olivetti-Geschäfte in Düsseldorf und Buenos Aires und Gotteshäuser wie die Kirche San Lorenzo in Porto Rotondo gefeiert.
Von Cristiana Colli
Es gibt ein Bild von Andrea Cascella in seinem Atelier in Mailand, von hinten, eingefangen in der energischen, entschlossenen Geste des Schnitzens von Linien mit einem Kohlestift, die bereits Volumen sind. In diesem Foto steckt die ganze Weisheit der Zeichnung, welche die Räumlichkeit des Steins enthält, und man spürt die Kraft des Materials, die sich offenbart. Andrea Cascella wurde figurativ geboren, hat aber schon bald die Verlockungen und Fragen der abstrakten Formen verstanden: Beeinflusst auch von Autoren wie Brancusi, gelangte er in seiner Reife zu einer Synthese rund um die Grundelemente der Geometrie.
In den - großartigen - Skizzen, welche die Form des Hakens immer wieder versuchen, ausarbeiten und verfeinern - eine unablässige Suche nach dem, was ein strukturelles morphologisches Konzept werden wird - erkennt man die Suche nach Harmonie und klassischer Schönheit, nach schöner Skulptur, die Cascella während seiner gesamten künstlerischen Erfahrung gesucht und gefunden hat. Und vielleicht bleibt in dieser gestalterischen und kreativen Reise jene familiäre Matrix, die mit seinem Großvater mütterlicherseits verbunden ist, einem deutschen Maschinenbauingenieur, der nach Italien gekommen war, um die Verbrennungsmotoren von Fiat zu konzipieren, und der auch dazu aufgerufen war, Dinge auszuarbeiten, die das Zusammenleben von Formen in den Mittelpunkt des Denkens und der Designpraxis stellten.
Der Haken, eine funktionelle Erfahrung, die bald zur symbolischen Konzeption des Gelenks werden sollte, wird nach seiner Teilnahme an dem 1958 mit dem Architekten Julio Lafuente gewonnenen, aber nie realisierten Wettbewerb für ein Mahnmal in Auschwitz zu einem wiederkehrenden Thema - ein Schlüssel, der zu seinem Markenzeichen werden sollte.
Emblematisch ist das kleine, aber essentielle Werk Legame von 1962, das einzige, das mit zwei verschiedenen Steinen hergestellt wurde, die dieses Gefühl der Umarmung, der Nähe im Unterschied, der Kluft, die nicht Distanz, sondern Identität in Beziehung ist, aufrechterhalten - eine Spur, die, wenn auch anders, auch in dem Werk Tutto grigio von 1968 zu finden ist.
Andrea Cascellas Skulpturen sind von ihren keramischen Ursprüngen beeinflusst, von dieser sanften und weichen Art der Herstellung, sowohl in Bezug auf Maßstab und Größe als auch auf die Freiheit, verschiedene Materialien zu verwenden - darunter Quarz und Lapislazuli mit den unvermeidlichen Bezügen zum Schmuck. Nicht nur Marmor und Steine, sondern alle Materialien sind Träger von Sprache und Bedeutungen - und das verleiht den Werken eine eigene Bewegung und ausdrucksstarke Freiheit. Aus diesen Gründen kann er zu den letzten italienischen Bildhauern gezählt werden, für die ein Ideal des Klassizismus und der Harmonie, ein Geschmack für Proportionen und eine Liebe für das "gut Gemachte", auch wenn es in abstrakte Zeichen eingebettet ist, eine wesentliche Referenz darstellten.
Cascella gehörte keiner Schule oder Strömung an, sondern spürte die Einflüsse kultureller und künstlerischer Kontexte, er war Vertreter einer Künstlerdynastie und Teil einer Familie, die lange Zeit eine intellektuelle Klientel war. Im Laufe von mehr als einem Jahrhundert folgten mindestens drei Generationen aufeinander, angefangen bei Basilio, dem Großvater, einem Maler aus den Abruzzen, dessen besonderes Werk Der Schall und der Schlaf, ein Triumph der Verführung und der körperlichen Fleischeslust, in Erinnerung geblieben ist, und Tommaso, dem Vater, der Pescara nie verlassen hat und dessen Morgenröte an der Adria er sein ganzes Leben lang malte, und seinem Bruder Pietro, mit dem er mit den ersten Keramikformen experimentierte.
Bis hin zu Marco, seinem Sohn, einem Arzt, der die Entstehung und das Geheimnis des Lebens unter dem Mikroskop erlernte und in der Malerei die Matrizen seines Urgroßvaters Basilio und die Verbindungen seines Vaters Andrea erneuert. Verbindungen, die im Andrea Cascella Archiv in Mailand, in den Räumen des historischen Ateliers in der Via della Ferrera 8, ein kulturelles Epizentrum, ein Studienzentrum für die Rekonstruktion von kritischen Apparaten, ein Aufbewahrungsort für Abgüsse, Gipsabdrücke, Maquetten. Und es fehlt auch nicht an der Erkundung der vielen öffentlichen und privaten Sammlungen, die seine Arbeit in der ganzen Welt unterstützt und bereichert haben.
Die Umarmung des Steins, der Formen, der Geometrie ist das Zeichen, das ihn auszeichnet, die Sehnsucht nach Dialog und Vereinigung, der Austausch zwischen Oberflächen und Materialien, die mögliche Verzahnung der Unterschiede, die Suche nach Anmut in der Härte. In der Strenge der Formen und in der Sanftheit der Proportionen zeigt sich eine nicht reduzierbare Modernität in der Suche nach Beziehung.
Von Zeichnungen über Denkmäler bis hin zu Partisanen, von Keramiken bis hin zu Skizzen, alles in Andrea Cascellas Werk spricht den Menschen und seine schmerzhafte und doch kraftvolle Menschlichkeit an. Es besteht aus Kurven, Kanten, Winkeln, Rauheit und Fugen. Aus den Harmonien des Menschlichen - immer anstrengend, immer zu bezwingen.